EGO. 6.9. + 7.9.08
Die 13. Ausstellung.
In privaten Wohnungen, Gärten, Balkonen und Kellern der Kottwitzstraße in Hamburg-Hoheluft.

Organisiert und kuratiert von Barbara Schirmer, Dieter Tretow und Wolfgang Scholz.
Mit Unterstützung durch das Bezirksamt Eimsbüttel und des Fördervereins KottwitzKeller e.V.

Mit Arbeiten von Andreas Blase, André Bigus, Annette Brasch, Thomas Dawideit, Baernd Fraatz, Karina Geest, Maria Gust, Gaby Harms, Aljoscha Harms, Karin Hechler, Ilse Hensel, I Santini Del Prete, Daniel Jaeckel, Gerd Kappelhoff, John Leverkus, Tilla Lingenberg, Alexander Mathias, Michael Meyborg, Klaus Pfordte, Wolfgang Scholz, Barbara Schirmer, Werner Schröder, Brigitte Stauche, Heidi Thiel, Dieter Tretow, Heidi Wessely-Scholz, Jochen Waibel, Jirka Zacek. Sowie Hexagon - Monika Knaack, Jutta Hagemann, Sybille Saathoff, Christine Pohlmann, Anke Brandorff



Materialien:

Wikipedia:
Egoismus
Nichts geht ohne Wikipedia - aber alles steht dann doch nicht da drin:
Egoismus (frz.: égoïsme; zu griech.: ego = ich) bedeutet „Eigennützigkeit“. Das Duden-Fremdwörterbuch beschreibt Egoismus als „Ich-Bezogenheit“, „Ich-Sucht“, „Selbstsucht“, „Eigenliebe“. Egoismen (Plural) sind demnach Handlungsweisen, die den Handelnden selbst als einzige Bestimmung der Handlungsmaxime und zumeist uneingeschränkt seinen eigenen Vorteil zum Zweck haben, eng einhergehend mit der mangelnden Akzeptanz, dass andere Menschen die gleichen Handlungsweisen gleichfalls gegenüber dem so Handelnden ausführen dürften. Ein wesentlicher Aspekt eines unumschränkten Egoismus' ist damit auch das Verwenden von zweierlei Maß...........

Im Etymologischen Wörterbuch von Kluge steht zudem:
... die ältere Form Egotismus stammt aus dem Englischen, wo sie vielleicht im Anschluß an Idiotismus gebildet wurde, entsprechend die Täterbezeichnungen Egoist und Egotist.......

Und sieht man unter Idiot nach, dann steht da unter anderem: ... zunächst in der Bedeutung Laie entlehnt.... ..so wurden (im Englischen, als juristischer Terminus) Personen bezeichnet, die nicht im Vollbesitz der geistigen Kräfte und somit zu rationalem Denken nicht in der Lage sind. ...

Und nochmal Wikipedia, diesmal zum Idiot:
Der Idiot (von grch. idiótes «Privatperson» «Eigentümlichkeit», «Eigenart» [1]; latinisiert idiota «Laie», «Pfuscher», «Stümper», «unwissender Mensch» [2]) war in der griechischen Antike ein Mensch, der Privates nicht von Öffentlichem trennte (wie Handwerker und Händler) oder aber jemand, dem das Politische untersagt war (wie Frauen und Sklaven). Der politische Raum stand synonym für den Begriff der Öffentlichkeit. Wer private Angelegenheiten nicht im eigenen Haushalt ("oikos") verbarg oder nicht als geeignet für das öffentliche Leben angesehen war (siehe oben), wurde als "idiotes" (Privatperson) bezeichnet.

sueddeutsche.de:
Ich & Ich
Online-Rollenspieler wollen ihr ödes Leben hinter sich lassen und flüchten sich in exzentrische virtuelle Avatare. Soweit das Klischee. Wie es wirklich ist, fanden Forscher der Hamburg Media School heraus.
Von Maria Huber

Sie heißen kryptisch MMORPG und faszinieren Tausende Spieler - die Massively Multiplayer Online Role-Playing Game, auf Deutsch: Online-Rollenspiele für mehr als einen Mitspieler. Millionen Avatare bevölkern beispielsweise den Bestseller des Genres, World of Warcraft. Auch das zweite Leben, Second Life, passt in diese Kategorie - auch wenn dort inzwischen mehr Karteileichen als Avatare die virtuelle Welt bevölkern.
Doch nach welchen Kriterien schaffen sich Online-Rollenspieler ihren Avatar? Wie viel Ego steckt in der virtuellen Persönlichkeit? Eine Studie der Hamburg Media School hat Erstaunliches über die Ursachen der virtuellen Personlichkeitsformung herausgefunden: Die Zufriedenheit mit dem eigenen Ich beeinflusst maßgeblich das Wesen des Alter Ego im Cyberspace.
Die Forscher haben insgesamt 666 Online-Spieler gebeten, einen Avatar zu erstellen. Danach mussten sie verschiedene Fragen zur Zufriedenheit mit ihrem Leben beantworten.
Dabei kam heraus: Wer glücklich ist, schafft einen Avatar, der ihm ähnelt, wer unzufrieden ist, benutzt seinen Avatar als Ego-Stütze. "Diese Probanden statten ihre Internet-Menschen mit den Eigenschaften aus, die sie an sich selbst vermissen", sagt Leonard Reinecke, ein Projektleiter der Studie.

Sims-Avatare ähneln den Spielern sehr
Auf die Idee zu dieser Studie kamen Reinecke und seine Kollegen, weil sie herausfinden wollten, was tatsächlich hinter den Online-Alter-Egos steckt. "Avatare sind wichtig, weil sie die Schnittstelle zwischen Spiel und Spieler sind", sagt Reinecke. Die Frage war, wieweit die realen Lebensumstände die Kunstfigur beeinflussen.
Doch die persönliche Zufriedenheit ist nicht der einzige Faktor, der die Avatarwerdung beeinflusst. Die Forscher fanden auch heraus, dass das Spiel Auswirkungen auf die virtuellen Charaktere hat. Der Realität entlehnte Spiele wie Sims oder Second Life sorgen dafür, dass die Avatare den Testpersonen sehr ähneln, während die Spieler in World of Warcraft auch Charaktere erschaffen, die wenig mit der realen Person zu tun haben.

"Du sollst rücksichtslos sein!"
Grund dafür ist nicht nur, dass es in Realitas eher wenig Hexen, Elfen und Druiden gibt, sondern dass man sich beispielsweise bei Second Life stärker mit dem Avatar identifiziern muss. Eigenschaften wie Offenheit und Einfühlungsvermögen sind da sehr gefragt. "Durchsetzungskraft und Rücksichtslosigkeit sind dagegen die Merkmale, die Avatare für Wettbewerbsspiele wie World of Warcraft bekamen, damit sie den Anforderungen des Spiels gewachsen sind", erklärt der Psychologe. Da will man also mit seinem anderen Ego weniger einen guten Eindruck machen, als die Chancen für den Sieg zu erhöhen.

Besonders bei den unzufriedenen Spielern ist die Fluchtfunktion also sehr ausgeprägt: Mit ihrem Avatar, der besser ist als sie selbst, können sie ihren Unzulänglichkeiten im Alltag entfliehen, während zufriedene Spieler mit ihrem Doppelgänger die eigene Perfektion feiern. Warum es dennoch in Spielen wie Sims oder Second Life gemeine Typen gibt, kann die Studie nicht klären. Vermutlich sind es Fieslinge, die mit ihrem Fieslings-Leben rundum zufrieden sind.
© sueddeutsche.de/22.02.2008

Ernst Mach: Das Ich ist eine Illusion

Ernst Mach (1838 - 1916), Nobelpreisträger, österreichischer Physiker und Philosoph

Descartes: Cogito, ergo sum

Einer aus dem Haufen
Cogito, ergo sum. Ich denke, und mithin so bin ich,
Ist das eine nur wahr, ist es das andere gewiss.
Ich
Denk ich, so bin ich! Wohl! Doch wer wird immer auch denken?
Oft schon war ich, und hab wirklich an gar nichts gedacht!

Friedrich Schiller

John von Düffel: Ego

„Von Düffel ist ein hervorragender Coach. Mit gut durchtrainierten Sätzen kommt der muskelbepackte Erzähler in Nullkommanix auf den Punkt. In entschlacktem Stil treibt er seine Geschichte voran. Der Theater-Dramaturg John von Düffel führt seinen Plot zu immer wieder überraschenden Wendungen. „Ego“ gehört zum seltenen Genre einer rundum gelungenen Gesellschafts-Komödie. Drei Tage aus dem Lebensmarathon eines Business-Athleten. Der Roman dürfte Ähnliches zu sagen haben wie Michel Houellebecqs Texte; nur sagt er es amüsanter. Hoffentlich macht niemand einen Film aus von Düffels lustigem Muckibudenzauber.”

Roman von John von Düffel (2001, Suhrkamp).
Besprechung von Stephan Maus auf der Homepage stephanmaus (Frankfurter Rundschau, 10.10.2001)

Aus brandeins 1/07

Du bist die Mitte meines Lebens, Liebling

Ich Ich Ich Ich Ich Ich Ich Ich Ich Ich Ich
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Wir



SPIEGEL ONLINE 20.12.2008

SPIEGEL ONLINE: Herr Hönnemann, Sie haben sich für das Projekt insgesamt drei Mal für jeweils 24 Stunden in einem Fotostudio eingeschlossen. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Arbeit?
Hönnemann: Als ich Jonathan im Rahmen eines Wohltätigkeitsshootings kennengelernt habe, herrschte vom ersten Moment an eine ungeheure Energie zwischen uns, die schnell rauschhaft wurde. Ich habe ihm deshalb vorgeschlagen, 12 Stunden miteinander zu arbeiten, Jonathan sagte, 24 Stunden fände er noch besser.
SPIEGEL ONLINE: Warum gerade 24 Stunden?

Meese: Weil es was Ganzes ist. Ich gebe mich wahnsinnig gerne in die Hände von Chefs - wie einem Fotografen, einem Regisseur oder meiner Mutter. Dann kann ich freier spielen.
Hönnemann: Wir haben uns Requisiten besorgt: Spielzeug, Farben, Kunstblut, Masken, Hüte und so. Aber eigentlich hatten wir keine Zielvorstellungen.
Meese: Mir war nicht klar, was das bedeutet. Ich dachte, ich krieche ein bisschen auf dem Boden herum, wie in meinen Performances und spiele mit irgendwelchem Zeug. Stattdessen musste ich totale Präsenz vor diesem Kameraauge zeigen. Auf der Bühne gehe ich auch mal zwischendurch aufs Klo, aber hier ging das nicht. Ich war schon nach fünf Minuten total verunsichert, weil das erste Bild scheiße war.
SPIEGEL ONLINE: Waren Sie alleine oder hatten sie ein Team?
Hönnemann: Wir waren sieben Leute insgesamt, Haar- und Make-Up-Leute, Assistenten und so weiter.
Meese: Diese Verantwortung! Ich habe immer gedacht: Jetzt haben die mich eingeladen, das ist alles so teuer hier und ich bring's nicht. Ich bin ja gar nicht so charismatisch! Aber im Laufe der Zeit habe ich gemerkt, es geht gar nicht ums Charisma, es geht ums Loslassen, ich musste durchs Tal der Lächerlichkeit und durchs Tal der Scham.
SPIEGEL ONLINE: Herr Hönnemann, Sie sind Modefotograf und bekannt für Ihre Prominenten-Porträts. Wie war es für Sie, mit einem Künstler wie Jonathan Meese zusammenzuarbeiten?

Hönnemann: In der Modefotografie spielt man das Spiel mit dem Begehren. Doch irgendwann habe ich mehr und mehr Porträts gemacht. Ich wollte die Menschen lassen, wie sie sind, und sie nicht so zurechtrücken, um irgendwelchen Vorstellungen zu entsprechen. Gerade die Schattenbereiche, wie man nicht sein darf, die habe ich besonders hervorgekitzelt.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie das auch bei Jonathan Meese versucht?
Hönnemann: Ich habe den Dalai Lama porträtiert und erlebt, wie es ist, wenn es kein Du und kein Ich mehr gibt. Der guckt dich an und du bist im Rausch. Ich konnte die Kamera nur bedienen, weil ich das seit 20 Jahren drauf hatte. All das war für mich eine Art von Vorbereitung für das, was mit Jonathan passiert ist, weil es da plötzlich über das individuelle Porträt hinausging. Auf den Bildern ist das zwar Jonathan, aber gleichzeitig auch nicht. Wir haben die Fähigkeit, uns gemeinsam hinzugeben. Woher das kommt, weiß ich nicht.

SPIEGEL ONLINE: War es nicht so, dass Sie als Fotograf die Kontrolle hatten?

Hönnemann: Klar habe ich gesagt, zieh mal das an oder mach mal das, aber dann hat sich die Geschichte verselbstständigt.
SPIEGEL ONLINE: Herr Meese, wie empfanden Sie diesen Zustand des Nicht-Mehr-Denkens, nur noch Machens?
Meese: Schutzmechanismen funktionieren nicht mehr. Du kannst dich nicht auf ein Rezept zurückziehen, sondern du musst die Maske finden, die richtig ist. Und Zeit haben. Hätten wir nur eine Stunde gehabt, wäre überhaupt nichts passiert.
SPIEGEL ONLINE: Was gab denn den Ausschlag, dass es plötzlich funktionierte?
Hönnemann: Die Form. Künstlerisch hatte ich keine Orientierung mehr, ich wusste nicht, ob es gut war oder schlecht. Aber dann fing Jonathan an, seine Form wie ein Korsett aufzubauen: Schwarze Hose, weißes Hemd, Koppelgürtel, eine Gerte in der Hand. Er stand da wie ein Jedi-Ritter und hatte plötzlich wieder Spannung. Die Form gibt ihm Sicherheit.
Meese: Ich weiß noch ganz genau, dass ich mir gesagt habe, konzentrier' dich auf "Clockwork Orange", du spielst jetzt Alex DeLarge.
SPIEGEL ONLINE: Steht das Bild, auf dem Sie einen Panzer aus Geldscheinen tragen, für Ihre Rolle auf dem Kunstmarkt?
Meese: Für mich ist das ein schwieriges Motiv. Geld soll Spielgeld sein, Kunst sagt: Geld, du bist Spielgeld; Blut, du bist Kunstblut. Waffe, du bist Spielzeug. Die Realität sagt's immer anders. Das mag ich nicht, da komme ich nicht mit klar. Das Geld, das man mir angeklebt hat, hat mir sofort die Kraft weggesogen, da war ich sofort wieder total verunsichert. Vor diesem Bild habe ich Angst, trotzdem muss es gezeigt werden.
SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie Angst bekommen, wie überwinden Sie die?
Meese: Weitermachen, das ist ja gute Angst. Man ist halt Mensch. Aber eigentlich kann die Bühne keine Angst machen, weil dort alles verarbeitet werden kann. Die Bühne kann besser mit Horror und Schrecken umgehen als die Realität. Die Realität macht daraus immer nur mehr Horror und zwar realen.
SPIEGEL ONLINE: Welche Dinge sollen denn in der Realität stattfinden?
Meese: Nur Liebe, Kuscheln, sich Freuen, Respekt, Demut…
Hönnemann: In der Realität gibt es nur noch harte Kontraste. Die einen leben nur noch im Second Life, die anderen pumpen sich mit Drogen voll, und die Mehrheit schaut denjenigen zu, die wilde Sachen machen.
SPIEGEL ONLINE: Sie brauchen keine Drogen?
Hönnemann: Wir haben zum Abendessen ein Glas Wein getrunken und danach haben wir uns mit Bananen und Vitaminpräparaten vollgestopft. Unsere Droge war die Euphorie.
Meese: Die Kunst ist die Droge, die Gegenwelt ist die Droge, die Gegenwelt ist radikaler als die Realität.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es bestimmte Kostüme, in denen Sie sich besonders wohl gefühlt haben?
Meese: Ich fühle mich in Uniformen am wohlsten und in Leder, am besten ganz bedeckt
SPIEGEL ONLINE: Uniformen und Leder haben beide was von einem Fetisch…

Meese: Das ist eher wie Tierhaut, es macht einen stark. Fell gehört auch dazu. Und die Adidas-Streifen auf den Trainingsjacken, die ich immer trage, sie geben mir Halt. Komischerweise kommt das Gesicht mehr zur Geltung, wenn jemand eine Uniform trägt. Ich träume davon, dass alle gleich gekleidet sind, dann kann ich den Menschen wieder ins Gesicht gucken. Wenn alle nackt wären, würde das auch funktionieren, auch wenn ich davor Angst hätte.
SPIEGEL ONLINE: Alle gleich machen, alle in Uniformen stecken, ist das nicht ein totalitärer Gedanke?
Meese: Ich glaube nicht. Das Ganze muss natürlich in der Kunst stattfinden. Die Kunst ist sozusagen die Waschmaschine, der Spielraum, in dem sich das alles auflöst. In der Realität wird es verbittert und zu miesen Ritualen versteinert. Die Kunst muss aber ritualfrei bleiben, die darf nicht zu einer Religion werden. Kunst hat keine Götter.
SPIEGEL ONLINE: Dafür haben Sie sich aber oft in Messias-Posen ablichten lassen.
Meese: Das sind alles Kostüme. Wenn ein Schauspieler mir sagt, er war tatsächlich König Lear auf der Bühne, dann kriege ich Angst. Das will ich gar nicht hören, dieser Authentizitätswahn, dieser Realitätsfanatismus…
Hönnemann: Ich finde das Spiel, ein König oder ein Zwerg zu sein, völlig legitim. Das ist in uns drin. Das zu sein im Spiel ist wichtig. Ich bin kein Feind des Kopfes, aber in der Kunst ist er in dem Moment, in dem es um Kreativität geht, einfach im Weg.
SPIEGEL ONLINE: Können Sie die Realität immer von der Kunst unterscheiden?
Meese: Manchmal nicht, aber ich weiß, dass es einen elementaren Unterschied gibt: Kunst verletzt nie real.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt da dieses Bild, auf dem Sie ihren eigenen, blutig abgeschlagenen Kopf in der Hand halten. Wollten Sie sich damit das Böse austreiben?
Meese: Auf dem Foto sieht man, dass ein geköpfter Mensch in der Kunst weiterleben kann. In der Realität wäre das sein Ende. Wir müssen in der Realität nicht zur Sonne fliegen, in der Kunst können wir das schon seit Jahrtausenden. Das ist doch viel schöner.
SPIEGEL ONLINE: Welchen Platz haben Sie als Individuum in der Gegenwelt der Kunst?
Meese: Ich bin ein demütiges Spielkind, mehr kann ich nicht sein. Ich kann nicht mit Genie kommen, denn die Kunst ist selber genial. Wir sind festgefahren in unserer eigenen kleinen Realität, die wir uns zurechtgelegt haben und die von morgens bis abends propagiert wird: Wenn es dir gut geht, dann geht es allen gut. Wenn es dir schlecht geht, musst du in Therapie. Ich, ich, ich, daraus kommt der Hass. Wenn sich alles nur um dich dreht, dann wirst du andere missbrauchen, andere quälen, andere vernichten.
SPIEGEL ONLINE: Was meinen Sie, Herr Hönnemann, wäre die letzte Konsequenz die Auslöschung des Ich?
Hönnemann: Nein, bei aller Freude am Selbstvergessenen, ich finde mein Ich wunderbar, ich gehe gerne damit um. Ich akzeptiere es als Teil des ganzen Seins. Aber es ist auch nett, wenn es mal in Urlaub geht.
Meese: Du hältst die Realität aber auch besser aus als ich. Ich habe eine solche unfassbare Angst davor, das war schon immer so. Früher hat es dazu geführt, dass ich immer zu Hause gesessen habe.
SPIEGEL ONLINE: Bis Sie die Kunst entdeckt haben?
Meese: Ja, das war für mich eine Möglichkeit, die Gegenwelt größer werden zu lassen und dort aufgehoben zu sein. Das war ein Glücksnadelör, das hat mich angesaugt. Ich hatte ja damals keine Vorstellung von dem, was Kunst sein könnte. Ich dachte, das könne man lernen, das ist wie Chemie oder Physik. Aber Kunst ist keine Therapie, das ist auch wichtig.
SPIEGEL ONLINE: Aber sie hat eine Perspektive eröffnet.
Meese: Kunst ist die größte Höhle, in die man reingehen könnte. Komischerweise geht kaum einer rein. Alle Menschen gehen in die Höhle der Realität und trampeln sich dort zu Tode. Dabei gibt es genau daneben eine andere Tür, da müsste man nur reingehen. Da ist alles erlaubt, da ist alles möglich, da sind nur fast keine Menschen drin. Ich habe da schon mal reingelugt. Ich will da mal drin verschwinden, aber irgendwas zieht mich immer noch weg.

Das Interview führte Jenny Hoch.

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